Volkswagen für Neureiche?

20. April 2024

Elektroautos sind alltäglich geworden. Oder doch nicht so ganz? Es gibt erkennbare Hindernisse auf dem Weg in die Zukunft.

Lassen Sie Ihren Gleichmut daheim, wir bewegen uns ohne Umwege mitten hinein in ein Spannungsfeld. Eine Industriezone, in der aktuell ein Gewitter sondergleichen tobt: die Sphäre der Elektromobiliät. Bis vor einigen Jahren war diese Zone das (fast) exklusive Jagdrevier des US-Innovators Tesla, nun haben – nach anfänglicher Zögerlichkeit – auch die deutschen, französischen, japanischen und koreanischen Ex-Platzhirschen Fahrt aufgenommen; sie bauen ihre Fertigungsstraßen immer massiver in Richtung E-Autos aus und um.  Tesla dagegen steckt in der Krise. Und dann wären da noch die Chinesen, von Byd bis Nio und unzählige Newcomer-Marken mehr, die freilich noch nicht alle die Exporthäfen beliefern. Gottseidank!, hört man da europäische Konzernbosse stöhnen, denn Fahrzeuge „made in China“ können längst mit VW, Fiat, Mercedes, Renault, BMW und Audi mithalten. Oder sie gar überflügeln – in der Qualitätsanmutung, in der Reichweite und in ihrer demonstrativen systemischen  Fortschrittlichkeit. 

Aber spielt der Konsument mit, egal ob China-Kracher oder Elektro-Volkswagen? Die Lage ist unübersichtlich: einerseits steigt der Marktanteil von E-Autos beständig an (was auch an den teils ungebrochen üppigen Förderungen liegt), anderseits machen sich das hohe Preisniveau der Mehrzahl der  Elektromobile und eine anhaltende Verunsicherung in Sachen Infrastruktur, Öko-Nutzen und Zukunftsperspektive bemerkbar. Manche Experten orten aktuell einen Stimmungsumschwung. 

Und die Vorreiter haben unfreiwillig die Bremse angezogen. Teslas Modell Y dürfte zwar 2023 der meistverkaufte Pkw der Welt gewesen sein (1,23 Millionen Exemplare!), den US-Konzern plagen trotzdem – auch abseits der Spinnereien seines Chefs Elon Musk – Probleme: Gewinneinbruch und fallender Aktienkurs, Qualitätsmängel, Fahrzeug-Rückrufe, der Ausstieg von Autoverleihern wie Sixt, Streitereien mit Gewerkschaften in Skandinavien und und und. Auch US-Konkurrent Ford drosselt die E-Auto-Produktion, um „ein optimales Gleichgewicht zwischen Herstellung, Umsatzwachstum und Rentabilität zu gewährleisten“ (sprich: die Börsen-Kurve zu kratzen). Von der Volvo-Tochter Polestar liest man, dass der Mutterkonzern nicht mehr die Anlaufverluste (mit)tragen will – und die Nischenmarke ganz zum China-Partner Geely wandert. Toyota-Chef Akio Toyoda prognostiziert gar für Verbrenner einen beständigen Marktanteil von 60 Prozent. E-Cars würden, so Toyoda, niemals den globalen Automobilmarkt dominieren.

Die Politik Chinas – sie bestimmt den Industriekurs des Landes – scheint dem japanischen Industriemagnaten recht zu geben: ein Verbot von Benzinmotoren steht nicht zur Diskussion. Es könnte, global betrachtet, auch die US-Präsidentschaftswahl ein Zukunftsfaktor werden: Donald Trump gilt als Gegner der Elektromobilität, er würde wohl demonstrativ Unterstützungen streichen – mit drastischen Folgen auf dem labilen Markt. In Europa (und mittendrin im, laut Bundeskanzler Nehammer, „Autoland“ Österreich) hält man allerdings an der Doktrin der Verbrenner-Ablösung bis 2035 fest, begleitet von zaghaften bis  lautstarken Einwänden aus der Schlüsselindustrie Deutschlands, möglicherweise auf das falsche Pferd zu setzen.  

Bequem ist es freilich, dieses Pferd. Ich teste aktuell einen VW ID.7, das Elektro-Flaggschiff des Volkswagen-Konzerns (sieht man vom neuesten Porsche Macan ab). Fast fünf Meter Länge, über zwei Tonnen Gewicht, ein 286 PS starker Motor im Heck mit 545 Newtonmeter Drehmoment, wichtiger allerdings: 532 Liter Kofferraum (mal drei bei umgeklappten Rücksitzlehnen) und eine Reichweite von nominell bis zu 621 Kilometern. Realistisch sind es dann doch deutlich weniger. Die Speicherkapazität der Batterie beträgt 77 Kilowattstunden – bei einer Ladezeit von nur 28 Minuten auf 80 Prozent. Soweit ganz brauchbar. Auch die zurückhaltende, fast elegante Gestaltung des Außen- und Innenraum-Designs kann etwas. Ob man sich allerdings wirklich einen Volkswagen, nomen est omen!, um   75.000 Euro in die Garage stellen will, bleibt die Schlüsselfrage. Für einen ganzen Konzern nämlich: in China, liest man, sei der ID.7 jedenfalls ein gigantischer Flop. Das hat das Fahrzeug nicht verdient! So angesagt es in den sozialen Medien auch sein mag, über die vermeintliche Rückständigkeit der deutschen Automobilindustrie zu lästern: ganz verlernt haben die Ingenieure im VW-Werk Emden ihr Handwerk nicht. Jedenfalls freue ich mich darauf, ihr „State of the Art“-Produkt gegen, sagen wir mal: einen Byd Han, Hyundai Ioniq 6 oder ein Tesla Model 3 antreten zu lassen und einen nüchternen Vergleich zu ziehen. 

In die Breite des Alltagsverkehrs eindringen werden all diese Elektrokutschen nicht. Vox populi fordert leistbare, kompakte, praxistaugliche Fahrzeuge – und klar erkennbare, nachhaltige Vorteile der Elektro-Technik. Nur dann wird die Last eines Neukaufs zur Lust werden – Lust auf eine mantraartig beschworene Zukunft des Individualverkehrs. Zwar ist immer wieder von einer „Rabattschlacht“ am Auto-Markt die Rede und beinahe jeder namhafte Hersteller stellt ein Billigmodell für unter 25.000 oder gar 20.000 Euro in Aussicht, aber die wirklichen Preis-Leistungs-Wunder lassen auf sich warten.

Es wird Zeit, dass Volkswagen die Altkunden-Kartei neu adressiert.  

(Das Feuilleton No. 2 / Jänner 2024)


Hoch wie nie

15. Februar 2024

„Rock Me Amadeus“, das aktuelle vierte Falco-Musical, versucht kommerzielle Gnadenlosigkeit mit psychologischer Freisprechung zu verbinden. Und scheitert daran spektakulär unspektakulär.

„Mit 90 Prozent aller Menschen nicht übereinzustimmen, ist eines der wichtigsten Anzeichen von geistiger Gesundheit.“ (Oscar Wilde)

Falco hätte das Musical gehasst. 

Das ist eine – weithin einsame – These, die sich nicht belegen lässt. Hans Hölzel ist nicht mehr. Gestorben einen sinnlosen, benebelten Tod im Februar 1998, der eingefroren ist in jenen Schlagzeilen, Nachrichtenmeldungen und Sprecherstimmen, mit denen das Singspiel anhebt, das hier zur Sezierung steht. Einmal mehr. „Sehr unterhaltsam und authentisch“ wertete „Der Standard“ die neue, insgesamt schon vierte Falco-Bühnen-Hommage (nach Paulus Mankers „F@lco – A Cybershow“ und der Berliner Revue „Falco meets Amadeus“ von Elmar Ottenthal anno 2000 sowie einer Tour-Produktion „Falco – Das Musical“). „Solide Handarbeit, nicht mehr, nicht weniger“ urteilte der „Kurier“, weit schärfer „Die Presse“: „Inhaltlich platt, optisch gelungen, musikalisch teils grässlich“. Das Publikum dagegen bejubelt die Auftragsarbeit, die sich der Chef der Vereinigten Bühnen Wien, Christian Struppeck, sicherheitshalber gleich selbst erteilt hat.

Das frische Falco-Stück fällt in die Kategorie Jukebox-Musical: rund um ein „Best Of“ der Hits des bis heute größten Popstars in und aus Wien wird eine mehr oder minder originelle, stringente, wahre Geschichte erzählt. Eine Vita von Aufstieg, Abstieg, Leben und Tod im Musikbusiness. Und von der Geschichte dieser Geschichte erzählt man sich die G’schicht’, dass sie dem Drehbuch eines biographischen Filmdramas aus dem Jahr 2008 so nahe kommt, dass Regisseur Thomas Roth schon eine Klage überlegte. Aber da wie dort ist es eine klischeehafte Verdichtung von Stationen einer Weltkarriere, die mit der Realität oft nur am Rande zu tun hat. 

Macht, akzeptiert man die Gesetzmäßigkeiten der Musical-Bühne, eine strikt künstlerische, ästhetische Bewertung einer solchen Unterfangens überhaupt Sinn? Ist man Wochen nach der Premiere – die Spektakelmaschine ist längst zu Routinevorstellungen vor Busladungen voller Provinz-Anreisender und Touristen übergegangen – nicht „late to the party“? Wäre eine kühle Analyse der Business-Eckdaten nicht der angemessenere Zugang? Dann könnte auch glatt wieder zombiehaft die uralte, nie wirklich beantwortete Frage auferstehen, warum die weltweit sonst hoch kommerziell betriebene Mainstream-Fließband-Produktion von Musicals in Wien mit rund 40 Millionen Euro unterfüttert wird. Jahr für Jahr. Es ist der mit Abstand größte Posten im Kulturbudget der Bundeshauptstadt. Der Eigendeckungsgrad der VBW-Häuser Ronacher, Raimundtheater, Theater an der Wien und Kammeroper liegt im Opernbetrieb bei unter 25 Prozent, in der Sparte Musical knapp über 50 Prozent. Jede Karte muss mit zwei- bis mittleren dreistelligen Eurobeträgen subventioniert werden. Brot und Spiele ohne Ende? 

Rasch werden Floskeln von der „Stadt der Musik“, ihrem Nimbus in der Gegenwart und der Qualität der hiesigen Ausbildung – Falco-Darsteller Moritz Mausser ist Absolvent der „Musik und Kunst Privatuniversität der Stadt Wien“ –, der Umwegrentabilität als Tourismus-Magnet und generell dem (kapazitätsmäßig zu) reichen historischen Erbe der Metropole gerade im Bühnenbereich in die Schlacht der Argumente geworfen. Gab es je einen Bericht des Stadtrechnungshofes dazu? Ja: zuletzt 2021.

Falco wäre das Musical nicht gleichgültig gewesen.

Soviel lässt sich mit Sicherheit sagen. Studiert man das großformatige, sonderfarbenschmucke Programmheft von „Rock Me Amadeus“ (Preis: 11,60 Euro), fallen einem neben der Auflistung unzähliger Sponsoren die detaillierten Angaben zu den Songs und ihren Autoren und Verlagsrechten auf. Sie sind das Kernstück einer kommerziellen Lizensierung. Und unter Kennern war es schon vorab Gesprächsstoff: wesentliche Stücke der Laufbahn Falcos werden nur kurz angespielt oder als tönendes Füllmaterial eingesetzt, während neue Kompositionen der Produzenten Rob und Ferdi Bolland – gegen deren „Amadeus“-Drall sich schon Falco einst selbst instinktiv zur Wehr gesetzt hatte, vergeblich – prominent in den Spielfluß eingebunden sind. „Unterirdischer Schlagerkitsch“, etikettierte dieses „unverzeihliche Sakrileg“ der „Falter“-Kritiker Gerhard Stöger. Zurecht.

Hans Hölzel und mehr noch seinem Alter Ego Falco war ein Faktor stets wesentlich: Coolness. Der Klischee-Käs’ der Bollands aus Holland hat zwar den Nummer Eins-Erfolg in den USA ermöglicht (bezeichnenderweise als Remix, in dem Falcos Gesang nur mehr in Spurenelementen vorhanden war), aber die jetzige Konzentration auf die grellste, oberflächlichste, verzweifeltste Phase im Schaffen des von Erfolgsdruck getriebenen Künstlers ist Geschichtsklitterung. Dazu der ganze Beziehungs-Schmus rund um Frau und Kuckuckskind und die holzschnittartige Küchenpsychologie rund um die Rolle und den Einfluß der Mutter Maria Hölzel. Dass man sogar einen meterhohen drehbaren Kopf mit polygonem Falco-Antlitz, leuchtenden Blutbahnen und Nervenenden und einem Art Aufzugs-Thron für den – eh klar!, Psycho! Schizo! Drama! – leibhaftigen Gegenspieler im Musical-Getriebe installierte, erzeugt eine Art von Overkill, den freilich das Gros des Publikums offenbar als ultimativen Thrill empfindet. Immerhin ein Kontrast zu biederen, peinsamen Ideen wie den Schulszenen („Nie mehr Schule!“), dem Kulissenflug des DDR-Schispringers und Namensinspirators Falko Weißpflog oder der Imagination eines Gesprächs unter Musikern in einer Art Drahdiwaberl-Frühphasen-Parodie. Dass „Junge Roemer“ zu einer zeitgeistigen Conchita-Hommage gerät, ist da noch am ehesten argumentier- und verkraftbar. Dennoch: Hans Hölzel hätte derlei seitenweise gestrichen. 

Ein Wort zu Falco-Impersonator Moritz Mausser: er ist lieb, er ist bemüht, er ist gut bei Stimme und hat seine Momente. Aber er ist ein ganz anderer Typ, als Hans Hölzel es war. Denn Hölzel – und mehr noch Falco – konnte verdammt selbstbewusst, kantig, stur und arrogant sein. Hart an der Grenze zur Unerträglichkeit, wie seine Ex-Manager Horst Bork und Markus Spiegel bestätigen werden. Man traut Mausser nicht zu, dass er trinkt, kokst, herumhurt, Frauen prügelt. Und dass er je einen Song wie „Ganz Wien“ oder „Titanic“ schreiben könnte. Coolness als Code bedarf wirklicher Abgeklärtheit und tief sitzender Kühlheit, sonst verkehrt sie sich ins Gegenteil. 

Falco hätte das Musical eventuell auch geliebt. 

Aus reiner Profitgeilheit? Nicht, dass dieser Faktor ganz außer acht zu lassen ist. Angeblich musste auch der kongeniale Produzent und Co-Komponist der frühen Falco-Hits – etwa „Der Kommissar“ oder „Junge Römer“ – Robert Ponger erst mit einem dringlichen Hinweis zur Einwilligung und Mitarbeit am aktuellen Musical bewegt werden: da ließe sich doch ordentlich Geld verdienen! Großes Bühnenrecht, beachtliche Tantiemen Abend für Abend. Doch gerade Ponger, der wie Falco-Entdecker Spiegel im Cast als „Berater“ geführt wird, heute aber ein leicht mysteriöses, ultrapenibles Professionisten- (oder Pensionisten?-) Dasein pflegt, wird die Rollen seiner Konkurrenten Rob und Ferdi Bolland richtig einzuschätzen gewusst haben. Letztere erweisen sich auch für die Falco Privatstiftung, den eigentlichen Lizenzgeber rund um den Vorstandsvorsitzenden Ronald Seunig („Excalibur City“), als ingesamt pflegeleichter. 

Ob sich „Rock Me Amadeus“ rechnet? Für die Genannten sicher. Einhunderttausend Karten wurden bereits verkauft. Es wäre interessant, die Kalkulationen und Hochrechnungen der Vorbereitungsphase in ein paar Monaten oder Jahren auf ihre Deckungsgleichheit mit der geschäftlichen Realität hin zu überprüfen – aber das wird wohl ein ewiges Geschäftsgeheimnis der Vereinigten Bühnen Wien bleiben (wiewohl der hohe öffentliche Anteil an der Finanzierung hier Einblick nachgerade erzwingen müsste!) Die kulturpolitische Grundsatzentscheidung, dass Wien diese Art von Volksspektakel hegen, pflegen, entwickeln und ausbauen möchte, ist definitiv gefallen und wird gegebenenfalls nur durch eine Serie desaströser Flops aufgebrochen werden können. Danach riecht das neue Falco-Musical nicht, auch wenn der lokale Hype doch etwas aufgesetzt und inszeniert wirkt. Abschließend beurteilen wird man das Wagnis erst „in the long run“ können. Ob man etwa „Rock Me Amadeus“ in Zukunft, auch gegen die Konkurrenz billigerer Produktionen, nachhaltig ins Ausland zu exportieren vermag, steht in den Sternen.  

Falco hätte das Musical eventuell sogar gefeiert. 

Weil es als Emotionsmaschine, Durchlauferhitzer der Erinnerungen und Defibrillator der Sentimentalität glatt funktioniert (und das „glatt“ ist glatt doppeldeutig zu lesen) – wiewohl „Rock Me Amadeus“ streckenweise vor Biederkeit, Betulichkeit und Bravheit strotzt. Einmal mehr muss Oscar Wilde herhalten, mit einem im Showbusiness immer und unbedingt zutreffenden Zitat: „Es gibt nur eine Sache auf der Welt, die schlimmer ist, als daß die Leute über einen reden, und die ist, daß die Leute nicht über einen reden.“ 

Es war auch die Furcht des Hans Hölzel, dass die Leute nicht mehr über Falco reden. Wie weit er gegangen wäre, wie weit er eventuell sogar gegangen ist, genau das zu verhindern, werden wir niemals erfahren. Schon gar nicht durch ein perfekt spekulatives, aber letztlich unspektakuläres Musical. 

(Das Feuilleton No. 1 / Dezember 2023)


1000 TAKTE TANZ – Das Feuilleton feiert!

18. November 2023

Weil ich oft gefragt werde, wo man/frau der Tanzleidenschaft frönen kann – und das zu Musik, die eher wenige Berührungspunkte hat mit RAF Camora oder „Barbie Girl“ -, hier eine ebenso pragmatische wie handfeste Antwort: 1000 TAKTE TANZ.

Am 28.12. legen Robert Wolf (remember Chuzpe!?) und ich erstmals wieder Vinyl-Singles auf die Plattenteller der „Roten Bar“ im Volkstheater. Ab 22 Uhr. Hymnen von The Clash bis Talking Heads, von Plastic Bertrand bis Willi Warma, von Talk Talk über Joy Division, Kraftwerk, Marc Almond und Orchestral Manouvres In The Dark bis zu Sgt. Peppers Lonely Hearts Club Band. Satisfaction Guaranteed!

Wir eröffnen den Premieren-Abend der neuen Reihe aber schon um 20.00 Uhr, weil wir gemeinsam mit der Crew der neuen Zeitung DAS FEUILLETON (https://feuilleton.online) und möglichst vielen Leser/inne/n feiern, anstossen und diskutieren wollen. Dazu demnächst mehr.

Jedenfalls würde es uns exorbitant freuen, wenn uns die Massen stürmen. Da der Platz begrenzt ist, macht Vorab-Reservierung Sinn. 1000 TAKTE-Tickets (10.-) gibt es hier: https://webshop.jetticket.net/volkstheater/SelectSeats?ret=2&e=13686

Die guten Kräfte sammeln sich. Come As You Are!


Der Mann auf der Couch

11. Oktober 2023

Michael Hopp, ehemaliger Chefredakteur des „Wiener“, kommt wieder in die Stadt. Und hat etwas einiges zu erzählen.

Großvater erzählt vom Krieg? Nein, er erzählt von einer herrlichen Zeit – als Printmedien noch nach Zukunft rochen, provokant gut gestaltet waren und mit Verve, Pop- & Punk-Spirit und juvenilem Überschwang neu erfunden wurden. Zeitgeist, y’know! Freilich ist das heute ein Mythos, und der Blick hinter die Kulissen erzählt auch von damaligen und heutigen Abgründen. 

Dieser Mann erlaubt, ja erzwingt nachgerade diesen Blick. Und er tut das mit einer Lesung! Michael Hopp, ehemaliger Chefredakteur des „Wiener“, liest aus „Der Mann auf der Couch“ (und vielleicht auch was anderes und vielleicht sagt er – aus Gründen – auch etwas zum Rahmen des Geschehens, die laufende Ausstellung DAS WAR MANFRED KLIMEK in der „Kolonie 5“ in Wien). 

Man darf gespannt sein. 

Und sich herzlich eingeladen fühlen. Diesen Donnerstag, 19 Uhr, Hamburger Straße 11 (beim Naschmarkt). Der Eintritt ist frei.

www.kolonie5.at
https://lnkd.in/dBtQQ_n7


Ein paar Worte zur Popgeschichte im allgemeinen und zu Markus Spiegel im besonderen

28. November 2022

Liebe Festgemeinde! Lieber Markus!

Ich werden eines gewiss nicht tun: Dich – und Sie alle zusammen hier – mit einer langen Rede behelligen.

Denn das ist die erste und wichtigste Lektion in jenem Komplex, der sich Entertainment-Business nennt, Unterabteilung Musikindustrie: Du darfst nie langweilen. Du darfst Dir so ziemlich alles erlauben, aber Du darfst nicht die Aufmerksamkeit Deiner Zuhörerinnen und Zuhörer, Deiner Zuschauerinnen und Zuschauer verlieren. Wenn Du sie einmal gewonnen hast. Und das ist die härteste Aufgabenstellung. Gewinne die Aufmerksamkeit, die Sympathie und am Ende eventuell gar die tiefe, überlebensgroße Verehrung Deines Publikums. Und halte die Flamme am Leben.

Ich hab’ mir überlegt, was an meiner Statt jener Mann hier sagen würde (respektive: gesagt hätte, wäre er noch unter uns), jener Mann, mit dem Markus Spiegel sein halbes Leben lang assoziiert wird: Hans Hölzel alias Falco. Ich ahne es: er hätte – Konjunktiv! – gesagt „Markus, I brauch’ an fetten Scheck, des beflügelt meine Fantasie am stärksten. Am allerstärksten! Danke schon im Voraus – und das Buffet ist hiermit eröffnet.“

So etwas in der Art, in seinem typisch näselnden Tonfall. Falco eben. Und hinterdrein ein krachendes Lachen. That’s Entertainment! Das ist Pop. Und, ja, es ist auch Business. Das eine funktioniert nicht ohne das andere.

Womit ich mich zu der Behauptung aufschwinge, dass es ohne Markus Spiegel möglicherweise auch Falco nicht gegeben hätte. Jedenfalls nicht als jenen Überflieger, wie wir ihn gekannt haben. Alte Branchenregel: am Anfang stehen immer Einzelpersonen, die Dir die Tür öffnen. Wolfgang Strobl etwa, Anfang der achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts Mitarbeiter bei GIG Records, der – wenn die Geschichte stimmt – Markus auf Drahdiwaberl und Falco aufmerksam gemacht hat. Oder Stefan Weber, Bandleader von Drahdiwaberl und damit auch von Falco, der hier erstmals auf professionelles Feedback stiess. Oder Robert Ponger, der erste visionäre Musikproduzent im Umfeld aller Protagonisten dieser Story. Und so weiter und so fort.

Das erste Mal in meinem Leben bin ich Markus Spiegel begegnet, als ich ihn als Redakteur einer Schülerzeitung zu einem Inserat überreden wollte. In einem heutigen Zuckerlgeschäft am Südtiroler Platz im vierten Bezirk, das damals die Firmenzentrale seines Labels GIG Records war. Man muß dazu sagen: sonstige Indie-Labels gab es Anfang der achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts kaum, nur fade, lokal weithin untätige Major-Plattenfirmen. Ich erinnere mich, als wäre es gestern gewesen: er bat den ganzen Schippel an Mittelschülern, die da in sein Büro vorgedrungen waren, in einen Hinterraum und spielte uns „That Scene “ vor, die englischsprachige Version eines Songs, den ich schon kannte: „Ganz Wien“. Dazu hüpfte er ungeduldig durch den Raum. Na? Na? Na, was sagt’s? Ich sagte: kenn ich schon; Stefan Weber war mein Zeichenlehrer. Falco hab’ ich schon die Hand geschüttelt. Aber wenn Du uns ein Inserat gibst, schreiben wir, es wird ein Hit. Markus Spiegel gab uns das Inserat – und es wurde ein Flop. Der wirkliche erste Hit, „Der Kommissar“ kam erst drei Monate später. Da war ich dann schon bei Ö3. Aber das ist eine andere Geschichte.

Was ich andeuten möchte: ohne diese Spiegeltypische Kombination aus striktem Enthusiasmus, persönlichem Einsatz und, ja, auch einem notwendigen, aus Privatmitteln höchst risikoreich aufgebrachten Budget wäre vielleicht auch etwas passiert. Vielleicht wäre irgendwann mal eine Falco-Single herausgekommen. Eventuell auch ein Album. Aber wahrscheinlich nicht so rasch, so stilsicher und so entschieden mit einer Ahnung des Kommenden, des Möglichen beflügelt. Österreich war – und ist – nicht das ideale Pflaster, um Pop-Weltkarrieren zu befördern. Auch wenn mit dem „Kommissar“ dann ein erster weltweiter Pop-Hit und mit „Rock Me Amadeus“ anno 1985 die erste US-Nummer 1 der Billboard Charts gelang. „Millionen glauben an den Zusammenhang von Schweiß, Gefühl und Ehrlichkeit“, haben einst die deutschen Falco-Zeitgenossen Fehlfarben gesungen. „In Wahrheit zählt nur die Kunst des Zitats. In Wahrheit zählt nur der richtige Moment.“

Es war fast im Alleingang ein Mann, der da rasch gelernt hat, über den Tellerrand hinaus zu denken, zu agieren und zu investieren – eben Markus Spiegel. Als ehemaliger AZ-Filmredakteur hatten ihn immer schon Film-Soundtracks fasziniert, er begann mit dem Import von Schallplatten und rasch waren drei Shops eröffnet, wo sich Discjockeys und Musikfans mit Material versorgen konnten. Disco war angesagt, Hary Thumann der erste lizensierte Künstler, Katalognummer GIG 111 100. Die nächste Single war dito einschlägige Importware aus den USA: „Willie & The Handjive“ von den Warriors. Dann kamen schon Karl Ratzer und Drahdiwaberl. Und dann Falco.

Ich habe vorhin fasziniert der tönenden Collage von Thomas Rabitsch gelauscht (Thomas war ja auch bei Drahdiwaberl und ein enger Weggefährte von Falco bis zum Schluß) … Da wurde in einem höchst liebevoll und kunstfertig fabrizierten Schnelldurchlauf eine Label- Laufbahn und Produzenten-Karriere abgespult, die meiner Einschätzung nach – und ich sage das nicht, um Markus zu schmeicheln, sondern mit fast schon wissenschaftlicher Akkuratesse – die österreichische Populärmusik über zwei Jahrzehnte hinweg geprägt hat. Und zwar wirklich entscheidend geprägt hat. Ohne Markus Spiegel und seine sprichwörtliche Goldene Nase sähe die Sache anders aus. Ich war selbst lange genug in der Musikindustrie, um sagen zu können: so einen Erfolgslauf, so eine Kontinuität und solch eine künstlerische Diversität hat niemand sonst zusammengebracht in diesem Land.

Im Business gilt die alte Regel: Du produzierst zehn Singles oder Alben, acht davon werden ein Flop und kosten Dich eine Stange Geld, eine Produktion finanziert sich mit Ach und Krach selbst – und eine geht durch die Decke. Langjähriger Branchenschnitt. Markus hat diese Regel außer Kraft gesetzt. Ich nenne nur ein paar Namen: Bilgeri, DÖF, Chuzpe, The Vogue, Dana Gillespie, Klaus Prünster, Lukas Resetarits, Joesi Prokopetz, Kottans Kapelle, Stefanie Werger, Supermax, Club 69, Phil Edwards, Giorgio Moroder, Edelweiss, Mini Bydlinski, Die Hektiker, Heli Deinboek, Beat 4 Feet, Count Basic, die Aphrodelics, Dubble Standart, Schönheitsfehler, Lynne Kieran, Leena Conquest & HipHop Finger, Triology, Marianne Faithful, Heinz aus Wien, Wolfgang Ambros, Sandra Pires, Uwe Kröger, Oskar Werner. (Und da hab’ ich sicher einige vergessen…)

Selbst Produktionen wie etwa „Swound Vibes“ von den Moreaus gingen – obwohl kommerziell ein ordentlicher Bauchfleck – in die Geschichte ein: es handelt sich um das erste heimische HipHop-Album, erschienen 1990. Mit dabei „big names“ der österreichischen Musikhistorie: Peter Kruder, Rodney Hunter, Martin Forster und Stefan Biedermann alias DJ Danuebe Superleiwand, DJ DSL. Produziert hat es, da schließt sich einmal mehr ein Kreis: Thomas Rabitsch.

Ich hatte ja selbst auch die Ehre, Anfang der Neunziger fast drei Jahre lang Teil der GIG Records-Crew zu sein, als dem ORF entfleuchter Abenteuerlustiger, der unbedingt wissen wollte, wie die Musikindustrie funktioniert… Zu nennen in dieser Crew, ja fast Familie wären unbedingt noch Elisabeth Haas und Ulli Winkler, Eddi Charwath, Peter Rauhofer, Heinz Nessizius, Alexandra Stroh, Werner Geier, Rodney Hunter, Alexander Spritzendorfer und andere; ein branchenübliches Kommen und Gehen. Frelich gab es da auch Fusionen und Fortentwicklungen: aus GIG Records wurde Reverso, dann kam der Major BMG ins Spiel, heute gehören die Rechte fast aller Produktionen Sony Music Entertainment. Und, ja, da wird mit Falco & Co. immer noch ein Batzen Geld verdient. Markus selbst wurde gesetzter, klassischer, seriöser Record Man – mit Thomas Rabitsch etwa hat er bezeichnenderweise Mitte der Nullerjahre das Label Serious Entertainment gegründet, auf dem die wunderbaren zwei späten Alben von Hansi Lang erschienen, unter dem Namen The Slow Club.

Dass Markus Spiegel parallel dazu und heute immer noch vor und hinter den Kulissen sehr rege tätig ist – als Juror (zuerst beim ORF Castingwettbewerb „Starmania“, heute etwa beim Österreichischen Musikfonds –, als A&R-Berater, als Kolumnist und Kommentator, ist nicht nur dieser langen, unvergleichlichen Laufbahn zu verdanken, sondern unzweifelhaft auch der Person Markus Spiegel.

Man kann es Glück nennen, man kann es Zufall nennen oder Schicksal, wenn einem eine solche professionelle Bilanz glückt. Ich nenne es eine sehr komplexe, höchst gelungene, ungebrochen quirlige Mischung aus Kompetenz, Mut, Fleiß, Beharrlichkeit, Kommunikationsfähigkeit, Esprit, Lust an der Musik und ihren Schöpfern und Akteuren. Also: am Kern der Sache selbst. Und, ja, meinetwegen: Glück gehört auch dazu. Immer.

Unser Glück ist es, dass wir Dich als Musikfans, als Hörerinnen und Hörer, als Künstlerinnen und Künstler, als Journalisten und Branchenkollegen, als stille oder auch vorlaute Bewunderer begleiten durften und bis heute dürfen. Vivat Markus! Und: danke.


Maschinenraum – (k)ein Vorwort

29. April 2020

Buchcover

Es ist ein Tag der Arbeit, und dabei schreiben wir noch gar nicht den 1. Mai. Ich sitze an diesem Text, einem Vorwort, weil ich meine, dass ein Buch ein Vorwort braucht. Tatsächlich ist das Vorhaben, ausgewählte Kolumnen aus über zehn Jahren zu versammeln und neu auszubreiten, nicht selbsterklärend. Zumal im Feld des Technischen und in Zeiten wie diesen, wo sich viele Einschätzungen von anno dazumal relativieren oder längst ins Gegenteil verkehrt haben. Wer möchte heute noch dem menschlichen, eventuell aber auch nur männlichen Drang, in einem schicken Sportflitzer mit Verbrennungsmotor unbekümmert durch die Landschaft zu brausen, das Wort reden? Oder sich spontan in einem Flugzeug gen Afrika oder Asien verfrachten lassen, wenn gerade die größten Fluglinien der Welt zur Disposition stehen?

Es sind seltsame Tage, in denen dieses Buch entsteht. Sie werden an vorderster Stelle eine Kolumne finden, die als Botschaft an einen Freund gedacht war – Peter Glaser. Es war der mehr oder minder charmante Versuch, dem österreichischen Autor, der seit Jahren in Berlin lebt und arbeitet,  ein Vorwort abzuringen. Er hat auch gleich zugesagt, zu meiner Freude, denn ein paar definitiv kundige einleitende Worte zu diesem Kompendium hoffentlich halbwegs kundiger Texte sind mehr als bloßes Beiwerk. Sie adeln das Buch, den Verlag und den Autor. Allein: ich erreiche Peter seit Wochen nicht, und die letzte Botschaft, die mich via Personal Message auf Facebook erreichte, klang gar nicht gut. Was mit den Umständen zu tun hat, mit Corona, der Bürokratie, der Ratlosigkeit, der körperlichen und seelischen Verfassheit in Phasen wie diesen. Die vielen  Fragezeichen und alles Gute wünschenden Buchstaben meiner immer dringlicheren Depeschen an den erhofften Verfasser dieses Einleitungstextes blieben ab Mitte März unbeantwortet. Ich hoffe dennoch, Peter Glaser baldigst ein „Maschinenraum“-Exemplar überreichen zu können. Persönlich, mit Freude, Dank und Erleichterung.

So liest sich dieses Buch auch ein wenig mehr wie ein persönliches Logbuch als ursprünglich gedacht. Tagesaktuell war das Gros der Kolumnen nie, aber es kam zu den geplanten Kapiteln über die Vergangenheit und die Zukunft – ohne die wohl kein halbwegs unterhaltsames Werk zum Thema Technik  im weitesten Sinn auskommen kann – noch eine Abteilung zur Gegenwart dazu. Dass sie uns morgen (und das kann dann schon der Tag sein, an dem Sie diese Zeilen erstmals lesen) hoffnungslos veraltet, schräg und falsch beurteilt vorkommt und wir das C-Wort nicht mehr annähernd riechen können (oder wollen), mag sein. Aber die Lachhaftigkeit vieler Konzepte, Konstruktionspläne und Visionen von einst ergibt sich schon bei der Lektüre ein paar Jahre oder gar Jahrzehnte alter Wirtschafts- und Technikmagazine. „Life is what happens while you’re busy making plans“, wusste schon John Lennon. Wir sollten die vergilbten Ideen von gestern dennoch studieren, weil sie uns auch jede Menge über die aktuelle Situation erzählen. Und den Weg dahin.

Was will dieses Buch, was will die ihr zugrunde liegende Kolumne (die erstmals 2009 in der “Presse“ erschien, wofür es Christian Ultsch und Rainer Nowak zu danken gilt, und die seit 2017 in der „Wiener Zeitung“ abgedruckt wird, hier geht der Dank an Christina Böck, Bernhard Baumgartner und Ex-Chefredakteur Reinhard Göweil)? Kurzgesagt: ein Begreifen ermöglichen. Technik – von Low- bis High Tech, vom Schreibtisch-Gadget bis zum Kernfusionsreaktor – durchdringt unser Dasein. Unsere Welt ist, ob wir das wollen oder nicht, zum „Maschinenraum“ geworden. Ihn zu betrachten, zu beschreiben, zu vermessen und letztlich zu verstehen (zumindest halbwegs), ist ein Gebot der Stunde (die durch die Rasanz der Entwicklung oft nur mehr Sekundenbruchteile zählt). Bisweilen findet sich keine Gebrauchsanleitung.

Jede hinreichend fortschrittliche Technologie sei von Magie nicht zu unterscheiden, hat der britische Autor Arthur C. Clarke einst postuliert. Hier aber geht es um Entzauberung. Der gemeinsame Abstieg in den „Maschinenraum“ ist der Versuch einer lustvollen, nicht mit Fachsprache, Hard Facts und technischen Details überfrachteten Expedition in den Alltag eines Durchschnitts-Users. Das ist wesentlich: alle Beobachtungen, Anmerkungen und Einschätzungen erfolgen aus der Sicht eines kritischen Konsumenten, nicht eines Experten.

Wie für jeden Autor, für jede Autorin gilt auch für mich: wir schreiben gegen das Sterben an, gegen das Vergessenwerden, gegen den Lauf der Dinge. Wie lange wird der Laptop, in dessen Tastatur ich gerade klopfe, noch klaglos laufen? Was kann uns Neo-Virologe Bill Gates über die Vergänglichkeit erzählen, welches Smartphone nutzt der Papst (und schaltet er es während eines Gesprächs mit Gott aus)? Wird die Zukunft mehr Technik, mehr Verstehen, mehr Lösungen bringen oder weniger? Und kann, nein: muss Fortschritt gegebenenfalls das Überleben der Menschheit sichern? Fragen über Fragen. Ich beginne abzuschweifen.

Zeit, umzublättern.

„MASCHINENRAUM. Gebrauchsanleitung für den modernen Alltag“ erscheint Ende Mai 2020 im Milena Verlag. Das Buch kann ab sofort vorbestellt werden. 


Handshake mit dem Großen Bruder?

7. April 2020

MASCHINENRAUM / WIENER ZEITUNG. An einer potentiell hilfreichen App entzündet sich das Misstrauen des gläsernen Staatsbürgers. Ausgerechnet!

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Extra nochmal nachgezählt: ich habe aktuell 106 Apps auf meinem Smartphone installiert. Seit vorgestern eine mehr, aber dazu später. Von diesen Apps – Miniprogrammen, die eine spezielle Funktion erfüllen – greift mehr als die Hälfte ungeniert auf mein Adressbuch zu oder meine Facebook-Freundesliste, schaltet nach Bedarf Kamera und Mikrofon ein (und der Bedarf erscheint erstaunlich oft gegeben), zeichnet meinen Standort auf, die Bewegungsdaten und den Browser-Verlauf. Und ich bin mir auch ziemlich sicher, dass sie sich für mein Gewicht, den Pulsschlag und die Blutdruckwerte interessieren.

Freilich kann man das Gros der Greifarme dieser Datenkraken ausschalten, aber die Werkseinstellung ist zunächst auf Neugier programmiert. Und nicht wenige Nutzer vergessen, den Auslieferungszustand nicht wörtlich zu nehmen und die entsprechenden Um- und Einstellungen vorzunehmen. Aus Bequemlichkeit, aus Schlendrian, aus Unwissen. Oder auch (oft gehört!), weil man „eh nichts zu verbergen hat“. Für Konzerne, deren Geschäftsmodell sich in Big Data-Schürfrechten erschöpft, ein gefundenes Fressen. Dass generell kaum eine Applikation oder Social Media-Bassena unseres digitalen Lebensstils den Implikationen der Datenschutzgrundverordnung genügt – wiewohl wir ständig lästige, kleingedruckte Regelwerke von Broschürenstärke wegklicken –, ist eh Allgemeingut.

Umso erstaunter war ich, als nun in den letzten Tagen einer potentiell hilfreichen, ja lebensrettenden App besonderes Misstrauen und vorauseilender Hohn entgegenschlugen. Sie wurde (und wird) vom Österreichischen Roten Kreuz angeboten, allein das sollte vertrauensstiftend sein. Die App, legér „Stopp Corona“ benannt, ist dazu gedacht, den Verbreitungswegen des Virus auf die Schliche zu kommen. Und User zu warnen, wenn sie mit Menschen in Berührung waren, die später positiv getestet werden. Relativ unkompliziert („single purpose“), elegant und unbestechlich. Gut, dass Nationalratspräsident Sobotka – ein Oberlehrer vor dem Herrn – vorschnell hinausposaunte, er spräche sich für eine verpflichtende Installation auf dem Handy jedes Staatsbürgers aus, war kontraproduktiv. Allein die Idee liess unzählige Bedenkenträger, Komplettverweigerer und Querulanten hinter den Büschen hervorspringen. Dass Fachleute zwar forderten, den Quellcode (die DNA des Programms) offenzulegen und einige Details nachzuschärfen, sonst aber wenig Übles – und schon gar nichts komplett Verwerfliches – diagnostizierten, beruhigte die Gemüter kaum. Misstrauen rules OK. Einmal dämonisiert, immer dämonisiert.

Nun denn: Teert mich, federt mich, sprecht Gebete und politische Bannflüche! Ich habe es getan. Ich habe die Corona-App runtergeladen. Um sie zu testen. Sie macht eigentlich nichts anderes, als per digitalem „Handshake“ (via Bluetooth oder via Mikro per Ultraschall) auf Knopfdruck (oder bald auch automatisch) eine Art anonymisiertes Begegnungstagebuch anzulegen. Sollte ich eine Benachrichtung erhalten, weiß ich, dass ich potentiell angesteckt wurde. Mehr nicht. Es werden weder meine Spaziergänge getrackt noch mein YouPorn-Konsum entlarvt, und es gibt auch, pardon!, keine Direktverbindung mit dem Führerbunker von Sebastian Kurz.

Lästern mag man eventuell über die Finanzierung der App-Entwicklung durch einen Versicherungskonzern. Oder darüber, dass man einmal mehr einen eigenen Weg geht und nicht auf ähnliche, rückhaltlos transparente Konkurrenzprodukte im EU-Ausland setzt. Da wir freilich im Zeitalter des ritualisierten Misstrauens leben (und das, jammerschade!, nicht ganz zu unrecht), solche Apps aber einer gewissen Verbreitung bedürfen, um zu funktionieren, ist das Ding leider schon tot. Derweil Covid-19 noch quicklebendig unter uns weilt.


Generation Business-Punk

6. November 2019

MASCHINENRAUM / WIENER ZEITUNG. Wie geht Zukunft? Ein “neues Standardwerk” will Antworten geben. Ärger ist angebracht.

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“Die Welt, die ihr nicht mehr versteht” – das ist, zugegeben, ein aufreizender, anstachelnder Titel für ein Buch. Er sagt: kauf mich!, schau rein, da lernst Du was. Fürs restliche Leben. Freilich nur dann, wenn man sich eher dem “ihr” zurechnet als der durch eine unsichtbare Trennlinie separierten Schar der Auskenner rund um den Buchautor Samuel Koch. Wobei: Schar ist es aus Sicht von Koch keine. Sondern eine ganze Generation. Die Jungen. Tutti completti in Geiselhaft genommen. Mit dem alten, forschen Distinktions-Trick: wir hier, die da. Ich gehöre nicht dazu. Denn ich verstehe schon den Untertitel des Buchs nicht: “Inside Digitale Revolution”. Ist das jetzt Jugendsprache? Ein Druckfehler? Oder kann da jemand nur schlampig Englisch?

Ich habe mir das Buch bestellt, nachdem ich ein recht kurzweiliges, weil keckes Interview mit Samuel Koch im “Standard” gelesen hatte. Der junge Mann, 1994 in Deutschlandsberg in der Steiermark geboren und eingeführt als Schüler-Lobbyist und digitaler Unternehmer (was immer das sein mag), holte sich dort im Online-Forum gleich jede Menge virtuelle Watschen für seine provokanten Wortspenden. Andererseits sind Großkotzigkeit und  Aufbegehren ein natürliches Privileg der Jugend. Ich beschloß also, mich ernsthaft mit seiner Botschaft auseinanderzusetzen. Zumal ein vertrauenswürdiger Entrepreneur, der EU-Jugendbotschafter (was immer das sein mag) Ali Mahlodji, das Buch so anpreist: “Samuel Koch hat den eindringlichsten Wegweiser ins digitale Zeitalter geschrieben. Ein Werk, das auf den Tisch jedes Erwachsenen gehört.”

Da liegt es nun. 156 Seiten stark. Man braucht nicht lange, um es zu lesen. Auch, weil man irgendwann dazu übergeht, das Buch nur mehr durchzublättern und mal hie einen Absatz zu studieren und da ein, zwei Gedanken wahrzunehmen. Immerhin. Es ist nicht so, dass dieses Werk keine Gedanken enthielte. “Kein Respekt mehr vor der Tradition”, wie es Ali Mahlodji formuliert, “nur mehr vor der Vernunft.” Aber warum ist dann zwei Seiten weiter schon von einem “eisigen Gegenwind gegenüber der Digitalisierung” die Rede, wenn eh alles rasant in diese Richtung treibt? Doch lassen wir Youngster Samuel selbst zu Wort kommen: “Ich fordere euch auf, euch zurückzuziehen, oder euren Rückzug jetzt vorzubereiten.” Jössas. Warum? “Ihr habt den Anschluss an den technologischen Wandel, der alle Lebensbereiche durchzieht, verloren.”

Kurzum: hier regiert – noch – ein “überholtes Modell Mensch”, das einfach im Weg steht. Ich fühle mich mäßig angesprochen. Mache aber auch gern Platz, nicht nur in der vollen Straßenbahn.  Auftritt Koch, ganz Generation Business-Punk: “Ich habe eine Mission. Sie besteht darin, jungen Menschen unternehmerisches Denken beizubringen.” Immerhin kommt in diesem Umfeld Greta Thunberg mehr Einfluß zu als dem Erfinder des Geilomobils (den Samuel Koch angeblich berät). Und schließlich rutschen sogar Straßenschlachten ins visionäre Radar. Die politische Position des Buchautors bleibt unklar. Am ehesten ist es wohl die eines neoliberalen Utopisten mit autoritär-anarchistischem Drall. Vielleicht gehts auch nur um ein Business-Modell. Original-Ton: “Mit links oder rechts hat das nichts mehr zu tun.” Elon Musk, deine Jünger.

Das ist grundsätzlich nicht unsympathisch. Zumal, so eine eingeflickte These des Mediziners Johannes Huber, ein Übergang vom “Homo brutalis” der Vergangenheit zum “Homo amans” der Zukunft in Aussicht gestellt wird – ein friedlicherer, sozialer, empathischer und technikverbundener neuer Mensch. Und für die regressiven Alten sind dann immerhin Pflege- und Kuschelroboter da. Als post-profitkapitalistisches Konzept winkt final eine vage Aussicht auf forcierte Selbstverwirklichung vor – Medizintechnik 8.0! Homo tempo! – spätem Tod. Zukunftspessimismus? Auch ein überholtes Modell. “Wir brauchen den Fortschritt zur Rettung der Welt.”

Wie genau die Welt gerettet werden kann und soll, wo uns doch die Zeit davonläuft (Rasanz ist aber grundsätzlich positiv!), bleibt leider offen. Letztlich werden viele Themen in diesem manisch mutigen Manifest zumeist nur sehr oberflächlich angerissen. Und manchmal sind die Deckungsungleichheit von Realität und Koch-Rezept richtig ärgerlich. Dass “in der digitalen Wirtschaft Unternehmen ihre Kunden nicht mehr steuern und manipulieren können wie in der analogen”, das wollen mir die Propheten des Cyber-Elysiums allen Ernstes unterjubeln? Und, nein, Big Brother möchte ich auch dann nicht als Freund, wenn man ihn zum “wahrscheinlich mächtigsten Sozialdemokraten aller Zeiten” erklärt. Dass Politik einmal weltweit “endlich richtig sexy” werden wird – auch so eine Prophezeiung aus dem Handgelenk – , werde ich wahrscheinlich nicht mehr erleben.

Ich will nicht zynisch sein: es wäre leicht, dieses Manifest in Grund und Boden zu argumentieren. Aber es zu lesen, ist kein Fehler. Das Buch (wohl eine Art Voraussetzung, um mit Vorträgen und Consulting Kleingeld machen zu können) ist auf eine widrige Weise sehr lehrreich. “Wir denken anders”, schreibt Samuel Koch. Ich glaube, er irrt. Gewaltig. Aber dem Jungspund das genauer zu erklären, dafür fühle ich mich nach der Lektüre einfach zu alt.


Reset.

24. April 2019

Dieses Werk gibt uns allen die Chance, einen Künstler neu zu entdecken. Anders, intensiver, anmutiger, mutiger als je zuvor. Anmerkungen zum neuen Album von Bernhard Eder. 

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Da war dieser junge Mann – hagerer Typ, verletztliche Erscheinung, leicht scheuer Blick –, und er ging mir nicht mehr aus dem Kopf. Schon einige Jahre her. Sieben Jahre, um genau zu sein. Bernhard Eder, so hieß dieser Mann, hatte gerade sein Album „Post Breakup Coffee“ herausgebracht. Ich erfuhr erst später, dass es bereits sein viertes veröffentlichtes Werk unter eigenem Namen war, und dass er da bereits eine Vorgeschichte mit einer Band mit dem leicht fragwürdigen Namen Wa:rum hatte.

Seltsam: so jung – und schon so lange unterwegs? Entschuldigen Sie, dass ich die abgegriffene Metapher bemühe (und in Folge dann auch ein Quantum Pathos), aber, ja, ich ahnte, dass es eine Reise war. Eine Reise zum Wesenskern der Musik, zum Zentrum des Universums, zum eigenen künstlerischen Ich. Und ich ahnte vage, dass ich einsteigen würde in Eders fragiles Vehikel und diese Reise begleiten. Zumindest ein Stück weit.

Und hier sitze ich heute und halte ein neues Album in Händen. Das siebente. Es ist jenes Album geworden, dass ich mir von Eder gewünscht habe (ohne dass wir am Weg dahin je darüber ein Wort verloren hätten). Es heisst „Reset“ und dieses Detail ist wohl das einzige, wo ich – mit anderen – einen kleinen Schubser gesetzt habe, denn der Urheber dieser Kollektion von gerade einmal acht Stücken wollte es zunächst nicht so nennen. Aber fiele Ihnen ein besserer Titel ein für ein Album, das tatsächlich eine Zäsur, eine Neudefinition, ein Reset ist?

Bernhard Eder war bislang fast die idealtypische Verkörperung des Singer/Songwriter-Bildes, das wir längstens seit Bob Dylan vor unserem geistigen Auge haben. Wie aus dem Geschichtsbuch: Typus vergeistigter Künstler, zerschlissene Hose zu abgewetzter Jeansjacke, schwarzer Gitarrenkoffer samt Inhalt. Das steht ihm gut, und das ging eine schöne Zeitlang gut. Nicht umsonst verstieg sich der „Rolling Stone“ zur Anmerkung, „der Songwriter-Pop der Stunde kommt aus Österreich!“

Aber es gerann zum Klischee. Und wurde – nein, langweilig wurde es nicht. Denn da waren immer wieder denkwürdige, zutiefst berührende, in sich selbst und seinem Tun (und Lassen) ruhende Live-Auftritte. Da waren kleinere und größere Songtreffer, die man z.B. auf FM4 oder Radio Eins hören konnte – und die in einer besseren Welt wirkliche Hits geworden wären. Ich sage nur: „Turn On“! Und da waren auch sensible Aneignungen der halben Pop-Historie, versammelt auf dem 2016 erschienenen Album „Remake“, das von Depeche Mode bis Radiohead, von David Bowie bis zu den Pet Shop Boys vor großen Namen nicht zurückschreckt. Dass dann auch noch ein 10 Inch-Vinyl mit weiteren, live eingespielten Coverversionen unter dem Titel „Remodel“ erschien, war nur folgerichtig. Dazu muss man gar nicht Roxy Music studiert haben. Aber es hilft.

Nun also „Reset“. Ein Neustart. Welcher Natur? Eine komplette Redefinition? Ja und nein. Aus dem „Spezialisten für gefühlvoll-ruhiges, zumeist reduziert angelegtes Musikgut“ („Falter“) ist kein zackiger Post-Punk-Rüpel geworden. „Reset“ ist dennoch ein Dokument eines ästhetischen Wandels – dem vom traditionellen Singer/Songwriter zum experimentierfreudigen Multiinstrumentalisten. Im Gegensatz zu den bisherigen Alben sind die Songs allesamt auf alten Heimorgeln, einem Pocket Piano oder basierend auf Samples entstanden. File under Electronica? Die bis dato omnipräsente Gitarre rückt jedenfalls weit in den Hintergrund. Oder ist völlig verschwunden.

Zudem wurden Elemente von einigen Songs in den letzten zwei Jahren für Theaterproduktionen verwendet – u.a. am Volkstheater Wien, Max Reinhardt Seminar oder Landestheater St. Pölten, wo Eder Musik und Sounddesign für diverse Inszenierungen beisteuerte. Ob „Reset“ nur ein kurzer Haken ist, eine launige Episode oder möglicherweise ein markanter Wendepunkt in seiner künstlerischer Karriere – darauf vermag ich Ihnen keine Antwort zu geben. Bernhard Eder wahrscheinlich auch nicht.

Wichtiger erscheint (und da fällt mir eine Prognose leicht): dieses Album ist ein geschlossenes, ein überzeugendes Werk. Eines, das bleiben wird. Eine Konzentration auf und von Schönheit. „Reset“ hat, lässt man sich darauf ein, alles, was den inneren Melancholiker in uns zutiefst jauchzen lässt. Stücke wie „Hell“ (samt verstörendem, allegorisch als Stop-Motion-Puppenspiel inszeniertem Video), „Aliens, pixelated“ oder „Last Dance“ fügen sich zu einem dunklen, aber zugleich hell strahlenden Reigen. Bernhard Eders Stimme, sein vielleicht größtes Asset, ist das verbindende Element.

Kurzum: „Reset“ gibt uns allen die Chance, einen Künstler neu zu entdecken. Anders, intensiver, anmutiger, mutiger als je zuvor.

Album-Live-Präsentation: am Freitag, 26.04.2019 um 22.00 Uhr im Volkstheater Wien, „Rote Bar“. Vorgruppe: On Bells. Karten hier

www.bernhardeder.net

 


Si tacuisses

17. April 2019

MASCHINENRAUM / WIENER ZEITUNG. Sensationsgier ist ein Social Media-Leitmotiv. In Sondersendungen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks hat sie nichts verloren.

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Ich halte mich für relativ abgebrüht, was das Thema Medien betrifft. Das gilt sowohl für die traditionelle Medienlandschaft wie auch für die neuen Eckpfeiler der Digitalsphäre (die gemeingültige Bezeichnung „Social Media“ rührt von den Anfängen dieser Plattformen her, als ihre negativen gesellschaftlichen Auswirkungen und ihr Disruptionspotential kaum noch merkbar waren). Was sich aber dieser Tage rund um den Brand der Notre-Dame-Kirche in Paris entzündet hat auf Facebook, Twitter und – im Windschatten der neuen Leitmedien – auch anderswo, gibt zu denken.

„Der Brand brachte symbolhaft zum Ausdruck, was viele dumpf unausgesprochen fürchten: dass es mit Europa langsam zu Ende geht“, verkündete etwa ein Politprophet auf Twitter. Nachsatz: „Aber das Gerüst steht.“ Wem würden Sie diesen pathetischen Schwachsinn zutrauen? Victor Orbán? Andreas Mölzer? Gerald Grosz? Dem Identitären-Vordenker Martin Sellner? Nein: es war der Mediensprecher des Bundeskanzlers, der derartiges von sich gab.

Nun ist der Pariser Dom tatsächlich keine profane Allerwelts-Kirche, sondern ein jahrhundertealtes Baudenkmal ersten Ranges. Und für viele Franzosen ein Symbol des politischen, nationalen, kulturellen, religiösen Selbstbewußtseins. Meinetwegen gilt das auch europaweit. Aber dass umgehend der Untergang des Abendlandes ausgerufen wird, weil unglücklicherweise bei Renovierungsarbeiten ein Feuer ausbricht, ist schon speziell weit hergeholt. Ist der Wunsch Vater des Gedankens? Man würde sich vice versa wünschen, dass politische Denker und Lenker in Ausnahmesituationen einen kühlen Kopf bewahren. Und nicht reflexhaft einstimmen in den Chor der Menetekel-Rufer.

Generell quollen die Medien in diesen Tagen über vor Emotionen, die der Katalysator – für manche nur ein „Steinhaufen“, für andere, doch etwas überraschend, der ewige Mittelpunkt des Gedankenuniversums – eruptiv freilegte. Zu den Betroffenen gehörten nicht nur demonstrativ sensible Seelen („Es tut wirklich körperlich weh #NotreDame“), sondern auch jene unausweichlich antagonistische Fraktion, die den Dom sofort als Tempel einer menschenverachtenden Religion identifizierte und das Feuer als reinigendes Fanal (eine „Strafe Gottes“ kann es ja für Atheisten schwerlich sein). Und dann waren da freilich auch sofort alle Moralhuber zur Stelle, die das Ereignis mit verhungernden Kindern in Afrika oder kenternden Flüchtlingsbooten im Mittelmeer gegenrechneten. Puh.

Man ist dieses Tohuwabohu ja gewohnt in Zeiten wie diesen. Wirklich überraschend war dann aber, dass selbst altgediente Medienprofis ihr indiviuelles Quantum an Trauer, Betroffenheit, Aufgeregtheit und, ja, Hysterie vom ORF widergespiegelt sehen wollten. Stantepede. Ausgerechnet. Dass der heimische Sender nicht umgehend eine Live-Coverage á la CNN inszenierte, wurde als Totalversagen des öffentlich-rechtlichen Systems gedeutet. Zwar sprach die Dichte und Qualität der Berichterstattung von Martin Thür & Co. klar dagegen – aber mit dem Tornado an (wenig ereignisreichen) Bildern, Infobrocken, Gerüchten, Mutmassungen, Zynismen und an- und abschwellenden Apokalypse-Schreien, die auf den Online-Plattformen Platz griffen (und greifen), können die alte Tante Fernsehen und das UKW-Dampfradio freilich nicht mithalten.

Und wissen Sie was? Gut so.